Die Situation, in der wir uns befinden, ist paradox. Die „ökologische Krise“ wird breit im öffentlichen Diskurs verhandelt und mit den neuen Klimabewegungen wird der Dringlichkeit eines Kurswechsels augenfällig Nachdruck verliehen. Zugleich schreitet die Zerstörung des planetaren Ökosystems ungebremst voran. Währenddessen wird viel Geld in Projekte investiert, die versuchen im Gewand der Science Fiction das noch Bestehende zu konservieren, abzukapseln oder zu isolieren. Doch eine globale sozial-ökologische Transformation wird so allenfalls konterminiert.
Dieses Paradoxon bildet den Ausgangspunkt der künstlerischen Auseinandersetzung der drei Arbeiten von Sarah Reva Mohr, Jeronimo Voss und Franziska Wildt. Dabei werden insbesondere die Grenzen zwischen Natur und Technik, Utopie und Dystopie sowie Exklusion und Inklusion hinterfragt und neuverhandelt. Die Verbindungslinien zwischen vermeintlich Vergangenem, dem noch Bestehenden und dem, was zukünftig sein wird, bilden ein wiederkehrendes Moment in allen drei Arbeiten.
Kuration: Mounira Zennia, Gestaltung: Anna Sukhova, Tanya Tverdokhlebova
Mit Unterstützung von Rosa Luxemburg Stiftung Hessen, Brot für die Welt, Heinrich Böll Stiftung Hessen, Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, AStA der Uni Frankfurt
DIE ARBEITEN
Sarah Reva Mohr: Shifting Grounds
Die Installation Shifting Grounds fragt in einem dystopisch-absurden Setting nach Mechanismen der Exklusivität in Zeiten der Krise und nutzt als Background-Narrativ die Besiedlung des Mars. Was bereits vor Jahrzehnten von den Raumfahrt-Institutionen verschiedener Staaten imaginiert und vorbereitet wurde, scheint nun in greifbarer Nähe für einen Neubeginn der Zivilisation — oder ist dies nur ein Vorwand für einen größer angelegten Eskapismus, bei dem noch nicht beantwortet scheint, wer überhaupt teilnehmen darf? Sarah Reva Mohr untersucht dazu die Künstlichkeit der Habitate, welche bereits in unserer Gesellschaft im Kleinen vorhanden scheinen und ein Machtgefüge im Sinne einer räumlichen Abgrenzung schaffen, zwischen Mensch und Tier, Zivilisation und Natur. Gleichzeitig symbolisieren sie den ständigen Drang zur Ordnung und vermitteln in ihrer Geschlossenheit eine melancholische Herangehensweise an die Frage, ob wir uns unter dem Deckmantel des „Artenschutzes“ nicht längst von der Natur verabschiedet haben und wir die Grenzlinien zwischen Teilhabe und Ausgrenzung nicht bloss weiter ausdehnen, statt sie aufzulösen.
Sarah Reva Mohr untersucht sozialpolitische Narrative und deren Einbettung in Machtstrukturen, ihr Verhältnis zu menschlicher Verletzlichkeit und Verantwortung. Ihre Installationen schaffen raumfüllende Erfahrungen, die gesellschaftliche Ungleichgewichte und Spuren humaner Intervention aufzeigen — visuelle Recherchen, die in materialisierten Erzählungen und spezifisch komponierten Bild- und Textlandschaften stattfinden. Neben der Herausgabe von unabhängigen Magazinformaten und eigenen Textbeiträgen, konzipiert sie Workshops und Vorträge zu kunstbezogenen Themen in Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Künstler*innen sowie Kulturschaffenden. Im Jahr 2019 gründete sie zusammen mit Freund*innen und Kolleg*innen den Kunstverein Mañana Bold, mit regelmäßigen Ausstellungen und Screenings. Bisherige Arbeiten wurden in diversen Gruppen- und Einzelausstellungen gezeigt, darunter: ,,The In-Between & the Not Yet“, Poky Institute of Contemporary Art, Mainz; „Words We Felt“, Artspace One, Seoul (Korea); „Above And Against: Random“, Basis Projekttraum, Frankfurt/M.; „Mapping Discomfort“, Sprechsaal Gallery, Berlin & „Die Ehrlichkeit von Milchhaut“, Public Domain, Wien.
Jeronimo Voss: Climate Envelopes
Jeronimo Voss nimmt mit Climate Envelopes den aktuellen Diskurs um mögliche kapitalistische Formen nachhaltiger Klimapolitik zum Anlass für eine bautechnologische Recherche. Dabei entsteht eine Bildwelt, die reale Bauentwürfe der Gegenwart mit denen des Science Fiction und utopischer Architekturkonzeptionen verbindet. Voss’ Installation entwickelt so ein Gedankenexperiment privatwirtschaftlich organisierter Klimasicherheit als plausible Immobilieninvestition in eine lebensfeindliche Biosphäre. Klimahüllen (engl. Climate Envelopes) bilden eine lichtdurchlässige Haut, die über Gebäude und deren Außengelände gelegt wird. Ziel dieser Bautechnologie ist die Schaffung einer eigenen Atmosphäre, um die Einflüsse der äußeren globalen Klimahülle abzuschirmen. Voss’ Installation legt nahe, dass die Bildwelten, die das Science Fiction- Genre für andere Planeten erträumte, gegenwärtig der irdischen Zukunft näher liegen, als die Besiedlung ferner Welten.
Jeronimo Voss entwickelt Rauminstallationen als Geschichts- und Parallelwelten-Modelle, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander blenden. Auf seiner Suche nach kosmopolitischen Zeit- und Raum-Perspektiven jenseits gängiger Fortschrittsversprechen begleiten ihn astronomische Hypothesen, Fragen nach den kollektiven Voraussetzungen der eigenen Praxis und die immer wiederkehrenden Debatten um Kunst als Realismus. Voss hat an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Museen und Institutionen weltweit teilgenommen, darunter Galeria Boavista, Lissabon; FACT Liverpool; Stedelijk Museum Bureau, Amsterdam; Galeria Municipal do Porto; Irish Museum of Modern Art, Dublin; Clark House Initiative, Mumbai; MOCA Belgrad; Wiener Secession; Fondazione Trussardi, Mailand; Lentos Museum, Linz; Haus der Kulturen der Welt, Berlin; MMK, Frankfurt/M.; Museum für Neue Kunst, Freiburg; Galerie Cinzia Friedlaender, Berlin und dOCUMENTA (13) in Kassel. Voss ist Dozent für Installation und zeitbezogene Medien am Institut Kunst der HGK FHNW in Basel.
Franziska Wildt: Bottleneck
In ihrer künstlerischen Arbeit Bottleneck setzt Franziska Wildt zwei Fotographien zueinander in Beziehung, die während eines Artistin-Residence Aufenthaltes in China entstanden sind: Lillies In A Vase und Items Of The Collection spielen mit dem Genre des Stilllebens, das sich in der niederländischen Malerei des 17. Jhd. parallel zum aufkommenden Kapitalismus, der damit verbundenen Kolonisierung und der Entstehung der modernen Naturwissenschaft entwickelt hat. Diese Entwicklungen werden in der Stillebenmalerei u.a. an der akribischen Detailversessenheit und der Abbildung von Luxusartikeln, die aus den Kolonien und durch den internationalen Handel in die Niederlande gelangten, deutlich. Die Stillleben des sogenannten Goldenen Zeitalters enthalten daher auch oft Darstellungen von chinesischem Porzellan im blau-weißen Stil der späten Ming-Zeit, das die aufstrebende bürgerliche Klasse in China zu dieser Zeit gezielt für den internationalen Handel produzieren ließ. Das Genre des Stillleben macht den Widerspruch sichtbar, mit dem die Kunst im globalen Kapitalismus kämpft: Sie beruht auf dem gesellschaftlichen Reichtum, der durch die Ausbeutung von Natur und menschlicher Arbeitskraft erzeugt wird; auch dann, wenn sie dies auf die ihr eigene Weise kritisiert.
Franziska Wildt hat ihr Kunststudium an der Universität der Künste Berlin bei Josephine Pryde und Hito Styerl und an der Staedelschule Frankfurt bei Judith Hopf absolviert (Meisterschüler 2016). Sie arbeitet vorwiegend installativ und performativ mit den Medien Fotographie und Video. Teilweise entstehen ihre Arbeiten kollaborativ, wie z.B. die Arbeit „Bewegung und Widerstand“, die sie gemeinsam mit der Künstlerin Nami Miwa und dem Komponisten Ian Rodriguez entwickelt hat (2016). Franziska Wildt hat im In-und Ausland ausgestellt, u.a. im KW, Berlin; MMK, Frankfurt/M.; Kunstverein Frankfurt; Museum für Fotographie, Berlin; Künstlerhaus Bethanien, Berlin; Neiman Galerie, New York; IG Bildende Kunst, Wien; Biennale for Young Art, Fortezza/Italien und gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv Campus Novel, Ausstellung im öffentlichen Raum auf Andros/Griechenland. Sie hat verschiedene Projektförderungen und Kunststipendien erhalten, u.a. von der CAA Berlin und dem Festival der Jungen Talente Frankfurt und hat 2014 an einem Artist-in-Residence Programm in China (ACAF) in Beijing/Shanghai teilgenommen. Zurzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie für Bildende Kunst Stuttgart und als Lehrbeauftragte an der Goethe Universität Frankfurt im Master Ästhetik tätig.